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Navid Kermani zu Gast an der KHKT: Eine interreligiöse Reflexion über christliche Kunst

Am 29. Januar 2025 war der renommierte Schriftsteller, Reporter und habilitierte Orientalist Navid Kermani zu Gast an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Im Rahmen einer Quodlibet-Lesung präsentierte er sein vielfach ausgezeichnetes Werk "Ungläubiges Staunen – Über das Christentum", das inzwischen in der 14. Auflage erschienen ist.

Das Buch ist eine außergewöhnliche Annäherung an die christliche Kunst aus muslimischer Perspektive. Kermani beschreibt darin die Eindrücke, die christliche Kunstwerke auf ihn machen – nicht als distanzierter Kunsthistoriker, sondern als gläubiger Muslim, der sich mit großer Ehrfurcht den Themen Leid, Erlösung und Gnade nähert. Seine Reflexionen verbinden kunsthistorische, theologische und persönliche Erfahrungen, sodass ein interreligiöser Dialog entsteht, der über konfessionelle Grenzen hinausweist.

Thematische Schwerpunkte der Lesung

Während der Veranstaltung las Kermani aus drei zentralen Kapiteln seines Buches: "Gott II", "Klage" und "Kunst".

„Jemand fragte was für mich Rettung bedeute (…)“, beginnt Kermani und hält einen Moment inne. Der Autor erinnert sich an eine Szene aus seiner frühen Kindheit. In seinem Kinderbettchen lag er schreiend mit Ohrenschmerzen: „Es muss Nacht gewesen sein, Nacht oder Abend, weil ich das tiefe Blau der Vorhänge vor Augen habe – meine Mutter holt mich aus dem Gitterbett und nimmt mich in die Arme, dieses Gefühl des umfassenden Trostes, das den Schmerzen nicht verscheucht, aber nicht mehr als das schlechthin Unheimliche erschienen ließ, (…) Ja, das war Rettung (…)“.

Diese Szene aus dem Kapitel „Gott II“ wird für Kermani zum Ausgangspunkt einer Reflexion über Gott als Mutter. Er zitiert den Sufi-Mystiker Ibn Arabi, der lehrte, dass sich die göttliche Liebe in der Frau am vollkommensten ausdrücke:

„Tadle mich nicht, wenn ich Gott Braut nenne.“

Die katholische Theologie, so Kermani, hat die mütterliche Dimension Gottes nie ganz verdrängt. Sie ist in der Marienverehrung lebendig geblieben. Maria sei nicht nur die Mutter Jesu, sondern eine Figur, die Trost spendet, Zuflucht bietet – ein Bild für Gottes unendliche Barmherzigkeit.

Im Kapitel „Klage“ beschreibt Kermani seine intensive Auseinandersetzung mit einer Pietà in St. Kunibert, Köln. Die Darstellung der trauernden Maria mit dem abgemagerten Leichnam Jesu auf dem Schoß bewegt ihn tief. Diese Pietà zeigt für ihn nicht nur den Schmerz der Mutter, sondern den Schmerz der Menschheit angesichts des Todes und der Trauer um die Verstorbenen:

„Wenn etwas, dann ist dies der menschlichen Erfahrung eine Regel, dass die Eltern gehen und wir allein auf der Erde zurückbleiben, sie kleiner werden, wir größer.“

Im letzten vorgelesenen Kapitel „Kunst“ widmet sich Kermani dem berühmten Domfenster von Gerhard Richter in Köln. Das Fenster besteht aus tausenden farbigen Glasquadraten, die zufällig angeordnet wurden. Die abstrakte Farbkomposition faszinierte ihn, weil sie mit der Bildsprache der islamischen Kunst verwandt ist. Er erkennt in ihr ein Gottesbild jenseits von Figürlichkeit und Mimesis:

„Nicht die Inkarnation in nur einem Menschen, sondern die Allgegenwart Gottes als Licht.“

Die Lesung bot den Zuhörern nicht nur Einblicke in Kermanis Werk, sondern regte auch zu interreligiösen und kunsttheologischen Diskussionen an. Sein Zugang zeigt, dass christliche Kunst nicht nur Christen etwas zu sagen hat – sondern auch anderen Glaubensgemeinschaften eine tiefe spirituelle Erfahrung ermöglichen kann.

 

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