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Buchveröffentlichung: L. Pareyson, Die Existenzphilosophie und Karl Jaspers

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Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Giovanni-Battista Demarta
Mit einem Geleitwort von Gianluca De Candia (DFG-Förderung) 

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Die Geschichte der Einflüsse des deutschen und später des französischen Existenzialismus auf die italienische Philosophie bis in die Gegenwart – es wäre eine Geschichte, die sich zu schreiben lohnt. Sie begann in den 1930er Jahren mit der Rezeption der frühen Philosophie Martin Heideggers (Sein und Zeit) und Karl Jaspers (Philosophie) und gewann innerhalb weniger Jahre zunehmend an Interesse. Die ersten, die sich mit dem Existenzialismus auseinandersetzten, waren Vertreter des christlichen Spiritualismus wie Armando Carloni (Il mito del realismo, 1936) und Luigi Stefanini (Giudizio sull’esistenzialismo, 1938), doch taten sie dies kritisch und mit einer vorwiegend historiographischen Ausrichtung. Erst die Arbeiten von Nicola Abbagnano (1901–1990) und Luigi Pareyson (1918–1991) initiierten eine wahrhaft spekulative Auseinandersetzung mit dem deutschen Existenzialismus.

In seinem 1939 erschienenen Werk La struttura dell’esistenza stellt Abbagnano eine Analytik des Verhältnisses von Sein und Subjektivität dar, nunmehr in dezidierter Überwindung der traditionellen Modelle augustinischen, kartesianischen, kantischen oder idealistischen Ursprungs einerseits, der Heideggerschen „Indifferenz“ und des Jaspersschen „Fatalismus“ andererseits. Während nämlich für Heidegger die Beantwortung der Frage nach dem Sein des Seienden an der Leibnizschen Grundfrage hängen bleibt, die das Dasein vor seinem eigenen Nicht-Sein ängstigen lässt, führt für Jaspers die Unfähigkeit, diese Grundfrage zu beantworten, schließlich zum „Scheitern“ der Vernunft, dem nur ein Schweigen vor dem Sein folgt. Für Abbagnano hingegen kann das Endergebnis der spekulativen Bemühung um das Sein („lo sforzo verso l’essere“) nicht eine rein negative Ontologie sein, die doch die Negation desselben Drangs bedeuten würde. Vielmehr muss die Existenz als jene Struktur verstanden werden, in der sich die Bewegung zum Sein bereits jetzt als „Möglichkeit der Möglichkeit“ (oder transzendentale Möglichkeit) erweist, ohne sich dabei auf das beziehen zu müssen, was vor ihr ist (das Nichts), oder auf das, was nach ihr ist (das transzendente Sein).

Eine Alternative zu Abbagnanos Lösung bietet der damals noch sehr junge Luigi Pareyson mit La filosofia dell’esistenza e Carlo Jaspers von 1940, die dank Giovanni-Battista Demarta nun erstmals auch deutschsprachigen Leserinnen und Lesern zugänglich wird. Wie Jaspers übernimmt auch Pareyson von Søren Kierkegaard die Definition der Existenz als Koinzidenz von Selbst- und Fremdverhältnis. Allerdings ist Pareyson der Auffassung, dass in Kierkegaards Konzeption der Existenz (und durch ihn in der von Karl Jaspers und Karl Barth) das hegelianische und lutherische Erbe weiterhin einen zu starken Einfluss geltend mache. In der Tat folgen alle drei Autoren einem Prinzip, nach dem sich die „Krankheit zum Tode“ paradoxerweise in Leben verwandelt (Kierkegaard), das „Scheitern“ der Existenz (in den „Grenzerfahrungen“) in die Positivität der Transzendenz (Jaspers), das „Nein“ des Menschen in das „Ja“ Gottes (Barth). Es gehe dabei immer um ein Prinzip der gegenseitigen Implikation von Negativität und Positivität, das aber die Polaritäten Endlichkeit und Unendlichkeit, Zeit und Ewigkeit, Vernunft und Wahrheit, Mensch und Gott als Gegensätze oder Gegensätzlichkeiten behandele. Dagegen spricht Pareyson der Endlichkeit nicht nur einen negativen Charakter zu und versteht die Transzendenz nicht nur als Negation der Immanenz. In Abgrenzung zu diesem Modell der gegenseitigen Implikation von Positivem und Negativem charakterisiert er das Transzendenz-Immanenz-Verhältnis als ein Verhältnis implizierender Unermesslichkeit, welches der radikalen qualitativen Spannung zwischen Sein und Existenz dynamisch gerecht wird. Das Verhältnis zwischen Endlichem und Unendlichem, Zeit und Ewigkeit usw. als unermesslich zu bezeichnen, bedeutet, diese Beziehung weder als notwendig noch als rational nicht gerechtfertigten Akt zu betrachten, sondern sie als eine der Freiheit anvertraute Tatsache zu bestimmen. Das Paradox, das auch in Kierkegaards Definition des Selbst zum Ausdruck kommt, besteht nämlich darin, dass die Transzendenz in der Immanenz, die Ewigkeit in der Zeit, das Sein in der Geschichte gegenwärtig wird. Es handelt sich somit um eine implizierende und nicht ausschließende Unermesslichkeit, die die Differenz zwischen den verschiedenen Polaritäten als den Bereich ihrer möglichen Korrelation liest. Genau in dieser ontologischen Perspektive wird Pareyson in verschiedenen Beiträgen zwischen 1942 und 1949 (1950 veröffentlicht unter dem Titel Esistenza e persona) seinen „ontologischen Personalismus“ bestimmen. In diesem Sinne liefert diese Übersetzung nicht nur ein wertvolles Zeugnis für eine der ersten Rezeptionen des Existenzialismus in Italien, sondern stellt zugleich den Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der Philosophie Pareysons dar.

Abschließend möchte ich einen Bogen spannen zwischen diesem ersten Werk Pareysons von 1940 und einer bedeutsamen Tatsache, die sich in den letzten Lebensjahren des Turiner Philosophen abgespielt hat. Aus einem noch unveröffentlichten Brief Hans Georg Gadamers an Luigi Pareyson vom 3. März 1984 erfahren wir, dass Pareyson als Träger des ersten Karl-Jaspers-Preises ausgewählt worden war. Diese Auszeichnung wurde erst 1983 aus Anlass des 100. Geburtstages Karl Jaspers‘ von der Stadt und der Universität Heidelberg gestiftet. Aus gesundheitlichen Gründen sah sich Pareyson zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr in der Lage, eine solche Ehre feierlich anzunehmen – zum großen Leidwesen seines Freundes Gadamer. Dieser war es nämlich gewesen, der Pareyson als ersten Jaspers-Preisträger vorgeschlagen hatte, und dies nicht nur, um die Anfänge Pareysons Denkweges zu würdigen, der mit der Begegnung mit Karl Jaspers in Heidelberg begann. In gleicher Weise ging es Gadamer um eine Anerkennung für die lebendige Erneuerung vieler Instanzen deutscher philosophischer Tradition, die Pareyson mit seinem gesamten philosophischen Schaffen (und nicht zuletzt durch Generationen seiner Schüler) zwischen Heidelberg und Turin ermöglicht hatte. Trotz seiner damaligen Ablehnung des Jaspers-Preises bleiben seine Werke und die Spuren seiner Spekulation in der zeitgenössischen italienischen Philosophie unauslöschlich erhalten. So möge diese Übersetzung vom Geist einer solchen Anerkennung geleitet bleiben.

(Aus dem Geleitwort von Gianluca De Candia)