normal

Antrittsvorlesung Prof. Dr. Gianluca De Candia

None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None
None

Die Wende als Strukturgesetz des Denkens und des Lebens

Gründlichkeit. Kreativität. Inspiration. Am Mittwoch den 25. Januar 2023 hat Dr. Gianluca De Candia als neuer Professor für Philosophie und Dialog mit der Gegenwartskultur seine Antrittsvorlesung an der Kölner Hochschule für katholische Theologie gegeben.

Zum Thema der Wende als Strukturgesetz des Lebens und des Denkens teilte Prof. De Candia seine Überlegungen nicht nur in gelehrter Art, sondern schöpfte auch selbst aus den Quellen der Vernunft (Kant). Nach Putins Überfall auf die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz in vergangenem Jahr drei Reden zur „Zeitenwende“ gehalten und die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den Begriff „Zeitenwende“ zum „Wort des Jahres“ 2022 gekürt. Auch kirchenpolitisch wird nach dem Missbrauchsskandal von einem endgültigen „Wendepunkt“ gesprochen. Das sind nur wenige Beispiele, die uns zeigen, wie dieser äußerst vielschichtige Terminus Hochkonjunktur erfährt.

Jenseits von einer Reduktion des Bedeutungsgehaltes von „Wende“ auf eine rein kulturgeschichtliche Deutungskategorie, beabsichtigt De Candia die Wende als mentalen Vorgang zu bestimmen. Erkenntnistheoretisch ging es bei einer Wende zunächst darum, über die für die Kehre nötige binäre Logik hinauszugehen, indem ein neuer Standpunkt aufgeht, der die Opposition „A / B“ qualitativ überschreitet. Die so verstandene Wende als qualitative Veränderung des Standpunktes wäre im Kern semantisch dem lateinischen Wort „conversio“ sehr ähnlich. Jedoch wurde nicht nur über die Wende gesprochen, sondern der Redner nahm alle Zuhörer – in einer performativen Wende des Mitdenkens – in eine Wende vom Begriff zur künstlerischen Darstellung mit hinein und vollzog damit in seiner Vorlesung zugleich die Sache, die referiert wurde.

Unter der Überschrift des zweiten Teils Conversio ad phantasmata (Thomas von Aquin) wandte sich De Candia zweier Gemälde Caravaggios zu, um die persönliche Wende des Malers sowie die von Paulus mit zu vollziehen. Gegenstand der Betrachtung waren zwei Darstellungen der Bekehrung Pauli (Hochfest des selbigen Tages). Das erste Gemälde verblieb in einer gleichsam äußerlichen Darstellung des Ereignisses und ließ den Betrachter in seiner objektiven Rolle. Das zweite Gemälde zieht den Betrachter in das innerliche Damaskuserlebnis des Saulus mit hinein. In der Diskontinuität, die sich in der Wende der Conversion Pauli vom Judentum zum Christentum darstellt, zeigt sich die qualitative Veränderung des Standpunktes Pauli jenseits aller binären Logiken (oder A oder B). An ihre Stelle setzt Paulus eine Teilung anderer Ordnung ein, nämlich die zwischen „Fleisch“ und „Hauch“, die jedoch «nicht mit derjenigen zwischen Juden und Nicht-Juden zusammen[fällt], […] ihr aber auch nicht äußerlich [ist]: Vielmehr zerschneidet sie die Teilung selbst.» (Agamben).

In der Scheidung von Fleisch und Geist transzendiert die paulinische Wende die ethnisch, klassen- oder geschlechtsspezifische Gegensätze auf Christus hin (Galater 3,28) – so De Candias tiefsinnige Interpretation Caravaggios. Im dritten Teil skizzierte De Candia in vier Glieder die Herausforderung heutiger katholischer Theologie: die „antiplatonische Wende“, die „antiaristotelische“, die „antirömische“ und die „antiaugustinische Wende“ markieren dabei die neuen Denkbedingungen gegenwärtiger Kultur und bringen das katholische Denken in den Dialog mit seinem Gegenüber.

Die Logik der heiligen Mysterien anführend – die nicht auflösen, sondern eine Wende einlösen – betonte De Candia die Pflicht die Wende des Denkens jenseits der dichotomischen Gegensätze als Phänomen ernst zu nehmen. Eine Hermeneutik jenseits der Gegensätze und eine ontologische Öffnung zum metaphysischen Denken wurden somit als zentrale Denkaufgabe heutiger religionsphilosophischer Dialoge begründet. Vom Begriff, über die Kunst, hinein in das Denken der paulinischen Wende entfaltete De Candia in seiner Antrittsvorlesung programmatisch und auf schöne Art sowohl Facetten seiner Persönlichkeit, als auch zugleich die künftige Aufgabe seines Lehrstuhles.

Sebastian Wolter